MEDIENPSYCHOLOGIN üBER TRENNUNGEN MIT KIND - PATCHWORK-ROMANTIK? GIBT ES NICHT!

Trennungen sind herausfordernd, besonders wenn auch Kinder davon betroffen sind. Johanna L. Degen informiert über die Psychologie von Neuanfängen, Stiefeltern, Patchworkfamilien und Kindern, die aus Koffern leben.

Emanzipation und Neubeginn: Der mutige Schritt der Trennung

Eine Partnerschaft endlich zu verlassen, auch wenn Kinder involviert sind, bedeutet einen Neuanfang, neue Chancen und Hoffnung auf ein neues Leben. Für viele ist dieser Schritt ein bedeutender Teil der Emanzipation und des Feminismus; es ist eine Errungenschaft, dass wir uns leisten können, Partnerschaften zu beenden, selbst wenn Kinder involviert sind.

Trotz der theoretischen Vorzüge gibt es jedoch auch einige Herausforderungen. Trennungen sind kostspielig. Selbst die günstigste Scheidung schlägt mit rund 2000 Euro zu Buche, vorausgesetzt, man ist sich einig. Danach müssen mehrere Haushalte eingerichtet, mehrere Autos finanziert, das Kindergeld aufgeteilt und der Unterhalt geregelt werden. Für viele ist der Alleinerziehenden-Status mit finanziellen Herausforderungen und der Gefahr der Armut verbunden.

Trotzdem gilt: Gerade für diejenige Person, die hauptsächlich die Care-Arbeit übernommen hat – meist Frauen – bedeutet die Trennung aber oft eine riesige Erleichterung und die Möglichkeit, wieder Zeit für sich selbst zu finden.

 

Obwohl die überwiegende Mehrheit der Kinder in Deutschland bei der Mutter lebt, weicht dieses Modell zunehmend auf. Das 7/7-Modell, also der Wechsel des Aufenthaltsortes im wöchentlichen Rhythmus, wird immer populärer. 

Das mag feministisch und emanzipiert klingen, aber für die Kinder bedeutet es ein Leben aus dem Koffer, ohne einen festen Wohnsitz und für die Eltern ein Ringen um Aufgaben und gerechte Verteilung und nicht selten gerät das Aufrechnen von Anteilen mehr in den Fokus, als die Bedürfnisse! Man kann es vielleicht aus eigenen Reiseerfahrungen nachvollziehen, aber für viele ist es äußerst anstrengend. Für die Erwachsenen mag es gerecht und gleichberechtigt klingen, aber für die Kinder ist es eine Herausforderung.

Abgesehen von den unterschiedlichen Ausgangsbedingungen – einer in der Partnerschaft hatte wahrscheinlich mehr Zeit in die Karriere investiert und steht nun finanziell besser da, oder hatte es im Grundbuch schlauer angestellt und nun eine andere Ausgangslage – hören die Herausforderungen bei der Aufteilung nicht auf.

Welchen Preis bezahlen die Kinder?

Familien trennen sich, aber Eltern bleiben Eltern. Das Band über die Kinder bleibt bestehen, und damit muss aktiv umgegangen werden. Der Ex-Partner, die Ex-Partnerin zeigt sich in den Kindern – nicht nur äußerlich, sondern auch in Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmalen. Das kann herausfordern sein und sich auch auf die Beziehung zum leiblichen Elternteil auswirken. Der Ex bleibt irgendwie im Haus und je mehr man versucht, das zu verdrängen, desto mehr tendieren Kinder dazu, daran festzuhalten. Denn es gilt: Für die Kinder sind beide Elternteile relevant, und sie tragen Anteile des nicht anwesenden Elternteils in den Alltag beim anderen. Wenn Erwachsene diese Anteile ablehnen, lehnen sie damit auch Teile des Kindes ab, was schmerzhaft sein kann.

Kinder sind bei Trennungen im Nachteil, sie wollen prinzipiell an der Ursprungsfamilie festhalten, versuchen aber dennoch, das Beste aus der Situation zu machen. Dabei kann es problematisch wirken, wenn Kinder versuchen, die doppelte Haushaltsführung auszunutzen – zum Beispiel, indem sie bei einem Elternteil weniger Regeln einhalten oder bei Streitigkeiten sagen: „Ich möchte zu Mama/Papa!“ Das kann verletzend und bedrohlich wirken.

Dann gilt: Es ist wichtig anzuerkennen, dass das Paar sich zwar getrennt hat, aber jetzt dennoch lernen muss, gut miteinander auszukommen – spätestens jetzt. Andernfalls bleibt das gesamte System trotz der Trennung weiterhin belastet. 

Neue Dynamiken und das Ringen um Stabilität

Nach der Trennung treten in den meisten Fällen neue Beziehungen hinzu. Diese neuen Partnerschaften werden oft von Verliebtheit geprägt und von Hoffnung getragen – Patchwork-Romantik! – und es wird erwartet, dass die Familie so funktioniert, wie es die ursprüngliche Familie nicht geschafft hat. In der Praxis ist das jedoch oft nicht so einfach. Stieffamilien – wenn also ein neuer Partner oder eine neue Partnerin hinzukommt – oder Patchworkfamilien – wenn beide Partner Kinder mitbringen – sind komplexe Systeme, die eingerichtet und verwaltet werden müssen.

Die Theorie besagt, dass es etwa 4 Jahre dauert, bis sich eine neue Familie sortiert hat und sich dann wie ein Zuhause anfühlen kann. Einigen gelingt das nie. Neue Partnerschaften können familiäre Traditionen nicht einfach ersetzen und diese auch nicht übernehmen. Kinder erleben Konkurrenz, und Erwachsene fühlen sich oft überfordert, übersehen und auch nicht zu Hause. Für fast alle gilt: Sie spüren einen Unterschied zwischen leiblichen und nicht-leiblichen Kindern – aber darüber wird kaum gesprochen!

Es zeigen sich auch gravierende Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Stief- und Patchworkmütter neigen dazu, zu (über-)kompensieren und sich selbst zu vernachlässigen. Männer ziehen sich eher zurück, oft auch, weil ihr Einmischen in Abwesenheit des leiblichen Vaters als provozierend und zu stark sanktioniert wird.

Zusammengebrachte Familien sind auch sonst belastet. Ihre Scheidungsrate ist hoch (bei knapp 80 %). Sie stehen oft finanziell unter Druck, leben auf kleinerem Wohnraum im Vergleich zu ursprünglichen Familien und fühlen sich stigmatisiert. Das Vergessen eines Kuchenaktionstages ist schon schlimm genug, aber in zusammengebrachten Konstellationen wird es als noch bedrohlicher empfunden. Die Angst, von anderen als chaotisch abgestempelt zu werden, ist groß.

Spätestens dann wird klar: Patchwork-Romantik gibt es nicht. Neue Familien sind Arbeit, und diese Arbeit muss gelernt oder begleitet werden, damit der Neuanfang gelingen kann!

Faustregeln und Tipps für den Weg zur neuen zusammengebrachten Familie

  • In dauerhaft hochkonfliktären Familiensystemen haben es Kinder schlechter, als in Trennungskonstellationen. Konflikt können sich jedoch in Trennungskonstellationen auch fortschreiben und verursachen auch dort noch Schaden!
  • Umarme den Ex-Partner/die Ex-Partnerin im Kind (also deren Anteile), damit das Kind sich nicht für Teile seiner Selbst schämt.
  • Zeige Interesse am Leben des Kindes beim anderen Elternteil, aber setze Grenzen, wenn das Kind gegen dich instrumentalisiert wird.
  • Akzeptiere, dass es beim anderen anders ist, und das ist in Ordnung!
  • Übernehme Verantwortung: Die Erwachsenen haben sich getrennt, aber die Kinder behalten beide Elternteile (zumindest in ihrer Vorstellung).
  • Kinder müssen uns nicht schonen, vor allem nicht in zusammengebrachten Familien. 
  • Auf Dänisch sagt man: „Die Augen auf dem Ball behalten“. Das ist vielleicht das oberste Prinzip. Seit der Trennung gilt: Wie können wir uns arrangieren, damit die Kinder zurechtkommen?
  • Lebe die Trennung erhobenen Hauptes, denn viele bewundern den Mut, aus einer Familienkonstellation auszubrechen!



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